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Pasarela
Caprichos
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Pasarela
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Entremedio
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Zwischen(ge-)schichten

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Die Bilder der Malerin Carmen Lorente Sangros bewegen sich auf mehreren Ebenen in einem ständigen Dazwischen. Klar abgegrenzte Farbflächen treffen auf ausfransende, sich wolkenartig auflösende Konturen. Geometrisch angelegte Linien und Kanten verbinden sich in einem dynamischen Übereinander mit organischen und natürlich gewachsen scheinenden Formgebilden. Den bestimmenden Faktor der Bildanlage bildet die Wechselwirkung von Form und Farbe. Die beiden Elemente bedingen sich, beziehen sich aufeinander und driften auseinander bis sich eine, Sangros’ Bildern eigentümliche, Balance ergibt. Gleichmässig bedecken Formen und Farben die gesamte Leinwand und lassen als All-Over keine Bildzentren und Bildgrenzen zu – leicht lässt sich die Bildwelt über die Leinwand hinaus weiterdenken. Das Farbspektrum reicht dabei von erdig-warmen Tönen in den frühen Arbeiten, über ein flimmerndes Nebeneinander von kräftigen Komplementärfarben, bis hin zu Pastelltönen in den jüngsten Werken. Intensität und Subtilität der Farben stehen sich im Schaffen der Künstlerin konkurrenzlos gegenüber.

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Eine weitere, scheinbar widersprüchliche Position fällt beim Betrachten der Bilder auf: Die Werke von Carmen Lorente Sangros halten sich in einer rätselhaften Schwebe zwischen Zweidimensionalität und erstaunlicher Tiefenwirkung. Je nach Wahrnehmung überwiegt der Eindruck eines flächig-ornamentalen Musters oder eines plastisch-dreidimensionalen Landschaftsraumes. Durch die Schichtung und Überlagerung ergibt sich eine Räumlichkeit, die verschiedene Ansichten gleichzeitig zu vereinen scheint – nicht unähnlich der Bildfragmentierung zur Erzeugung von Tiefe auf der Fläche wie sie von den Wegbereitern der Moderne, den Kubisten oder Suprematisten, praktiziert wurde. Der Tiefeneindruck der gestaffelten Bildelemente in Sangros’ Werk wird zusätzlich durch den durchscheinenden Farbauftrag verstärkt. Die transluzente Wirkung der verwendeten Ölwachskreiden erlaubt ein verwirrendes Spiel zwischen Hinter- und Vordergrund: Was eben noch im Vordergrund wahrgenommen wurde, kann durch die Überschneidung mit einem nächsten Formengebilde als unterste Farbschicht erscheinen. Andererseits wird der unregelmässige, unruhige und lichtdurchlässige Farbauftrag der Körperlichkeit und Stofflichkeit suggeriert – immer wieder von homogenen, einheitlich applizierten Farbflächen abgelöst. Ohnehin verneinen die Bilder von Carmen Lorente Sangros die ihnen inhärente Flächigkeit durchaus nicht. Bisweilen erinnern sie an flächig angelegte, dekorative Musterkompositionen. Dabei fordert die Künstlerin bewusst ironisch den Vergleich mit ausgetüftelten Stoff- oder Tapetenentwürfen heraus. Diese spielerische Annäherung wird umso pointierter, wenn man um die Arbeitsweise der Künstlerin weiss: Die Mehrzahl ihrer Werke entstand durch das Abkleben der Leinwände mit Malerklebeband und das darauffolgende, vorsichtige Ausschneiden von Formen mit einem Cutter. So ergeben sich Schablonen, die als Formgeber agieren Schnittmustern nicht unähnlich. Noch bevor der Malvorgang beginnen kann, leistet die Künstlerin somit unter Zuhilfenahme von Klebeband und Cutter die Vorarbeit: Ganz im Sinne einer zeitgenössischen Form der klassischen Unterzeichnung, bei der die Komposition mit Stift, Kohle oder Pinsel auf der Grundierung festgehalten wird. Unweigerlich stellt sich die Assoziation zu den Scherenschnitten des Fauvismus-Wegbereiters Henri Matisse ein; der französische Künstler beschrieb seine Technik als „mit der Schere zeichnen“. Sangros verwendet die von ihr ausgeschnittenen Klebeflächen oftmals weiter. Was zuvor aus dem Bild geschnitten und mit Farbe gefüllt wurde, bildet jetzt die Leerstelle: Auf diese Weise wird die ursprüngliche Positivform in einem nächsten Werk zum Negativ. Diese Schablonentechnik hat scharfe Kanten und präzise Linien zur Folge, so dass der Schnitt auch nach dem Entfernen des Klebebandes im Bild präsent bleibt. Es entsteht ein collageartiger Eindruck, der die Wahrnehmung verschiedener Farb- und Formebenen unterstützt.

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In Carmen Lorente Sangros’ Werk lässt sich darüber hinaus ein weiteres Zusammentreffen vermeintlicher Gegensätze finden: Der Ornamentik und der Abstraktion. Das Ornament wurde von den Pionieren abstrakter Kunst vollständig negiert. Dem österreichischen V orreiter der modernen mitteleuropäischen Architektur Adolf Loos war die Verdammung des Ornaments gar eine Streitschrift wert („Ornament und Verbrechen“, 1908): Ornamentale Elemente seien überflüssig und Zeichen einer niederen Kulturentwicklung, so Loos’ Auffassung. In den letzten zehn Jahren wurden allerdings erstmals Bemühungen unternommen, die abstrakte Malerei des 20. Jahrhunderts selbst als eine Fortsetzung der Ornamentgeschichte zu verstehen. Schliesslich wurden in der Ornamentik seit Jahrtausenden ungegenständliche Formschöpfungen hervorgebracht. Gleich einer Visualisierung dieser Umdeutung sind die Gemälde von Carmen Lorente Sangros zwar in die Tradition der Abstraktion einzugliedern, verleugnen aber den formbildenden Einfluss der Ornamentik nicht. In den Werken von Sangros lässt sich die Koketterie mit dem, an dieser Stelle keineswegs abwertend verwendeten Begriff, dekorativen, ornamentalen Muster genauso finden wie die abstrakte historische Farbfeldmalerei von Kasimir Malewitsch oder Mark Rothko.

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Abstrakte Kunst bedeutet nichts anderes als die Befreiung von Gestaltung bestimmter Inhalte – ganz gemäss ihrem etymologischen Ursprung vom lateinischen Wort ‚abstrahere’, zu deutsch ‚trennen’. Durch das Fehlen konkreter Referenzen und inhaltlicher Erzählungen lässt sich die abstrakte Kunst unabhängig von der jeweiligen Kultur rezipieren; daher rührt auch der geflügelte Terminus der „Weltsprache Abstraktion“. Das klassische abstrakte Gemälde ist dadurch definiert, dass es keine Rückbezüge auf Nicht-Formales zulässt. Es ist ein autonomes System, das sich nur auf sich selbst bezieht. Auch in dieser Hinsicht lassen sich die Arbeiten von Carmen Lorente Sangros allerdings nicht eindeutig zuordnen und befinden sich in einem unbestimmten Dazwischen: Die strenge Aufteilung zwischen Abstraktion einerseits und Verweisen auf die Wirklichkeit andererseits ist bei ihr aufgehoben. Entsprechend der Vielschichtigkeit der heutigen Gegenwart ist die Herausforderung vielmehr im Aushalten der Gegensätze als in der klaren Verortung zu suchen. Sangros’ Bilder bestehen als formal übereinander gelegte, geschichtete Geschichten, die das Ähnlichsein mit uns Umgebendem nicht ablehnen, ohne aber illustrativ zu sein. Die Künstlerin lässt sich von Schweizer Hügellandschaften, in ihrer Heimat Zaragoza beobachteten Lichtstimmungen oder architektonischen Strukturen inspirieren und reichert ihre Bilder auf diese Weise mit vielfältigen inhaltlichen und biografischen Bezügen an – ohne dabei die Tradition der ungegenständlichen Malerei zu verlassen. Gelebte, erlebte Texturen und Stimmungen finden in den Werken ihren Widerhall. Auch in dieser Hinsicht geht Carmen Lorente Sangros über die Aufnahme historischer Stile hinaus, verlässt die Eindeutigkeit und schafft hybride, eigenständige Gemälde.

Sangros verfolgt während ihres Arbeitsprozesses keinen vorgefassten kompositorischen oder inhaltlichen Plan und veranschaulicht keine Vorgaben – der Bildaufbau entwickelt sich intuitiv und folgt den freien Assoziationen der Künstlerin. Nicht ohne Grund taufte die Künstlerin eine ihrer Serien kleinformatiger Bilder Capriccio – ein Begriff den sie aus dem Spanischen frei mit „etwas, worauf man Lust hat, was Lust zu erarbeiten macht“. Dieser lustvolle Aspekt der Arbeiten macht diese für den Betrachter besonders lebendig und einnehmend Spontaneität und prozessgebundene Kreativität sprechen noch aus den fertigen, an Ausstellungswänden plazierten Bildern.

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Die Faszination, die von den Werken der Künstlerin Carmen Lorente Sangros ausgeht, hat viel mit dem wiederholt erwähnten

Dazwischen zu tun. Ihre Werke erschliessen sich den BetrachterInnen durch ihre Mannigfaltigkeit immer wieder von einem anderen Blickwinkel. Der komplexe und uneindeutige Ausdruck der Werke entspricht dem zeitgemässen Lebensgefühl des modernen, kosmopolitischen Menschen. Festgelegte Kategorisierungen werden immer stärker negiert und der Einfluss vielschichtiger Hintergründe geltend gemacht. Dass Momente des Übergangs und Austausches auch in der Biographie der spanischen Malerin, die einen Teil ihres Lebens in Frankreich verbrachte und mittlerweile ihre Heimat in der Schweiz hat, eine wichtige Rolle spielen, scheint unter diesen Umständen kaum überraschend. Diese Schnittstellen haben vermutlich das ihrige zu der dialogischen Struktur der Arbeiten getan.

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Alessa Panayiotou

 

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