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Carmen Lorrente Sangros_2020_0079.jpg

Laudatio von Henri Spaeti

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Ich möchte die Arbeiten von Carmen Lorente Sangros aus einem architektonischen Blickwinkel betrachten. Nicht weil Ihre Bilder, Objekte und Frottagen konstruktive oder konstruktivistische Aspekte aufzeigen, mehr weil ihre Bilder auf Oberflächenstrukturen hinweisen und in ihren Materialitäten  z.T. wie Fassaden wirken. Fassaden sind gestaltete, oft auch repräsentative Hüllen von Gebäuden, ausgeweitet würde ich sagen auch von allgemein räumlichen Strukturen. So verweist z.B. die im vorderen Schaufenster hängende Plastik, eine in sich stabile Papierhülle,    

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in der Formgebung auf ein Kleid. Horizontale  Schichtungen werden von zwei vertikalen Säulen getragen, die Papierhülle über dieser Grundstruktur nimmt die Form auf : Ein Skelett? Säule und Kapitell? Plötzlich nicht mehr ein Kleid also, plötzlich eine archaische Erinnerung. Und wenn ich ihnen verrate, dass die unterlegten Holzlatten eigentlich Keilrahmenstücke sind und die Papierschicht mit Hasenleim verfestigt wurde, verstehen Sie auch, dass diese Arbeit etwas mit Malerei, Reliefmalerei, an sich hat.  Tatsächlich ist Carmen Lorente Sangros eine Malerin, ihre Bilder, aktuell meist Arbeiten auf Papier, leben von Farbe und Form, aber auch von Nichtform und Nichtfarbe.

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Carmen Lorente Sangros ist 1965 in Spanien geborene und  in der Region Saragossa aufgewachsen.

1965 war der Beginn des Endes der Ära Francos, dies bedeutet, dass sie während Ihrer Jugend die Aufbruchstimmung im kulturellen Leben Spaniens miterlebt hat. Sicher ebenso wichtig oder zumindest mitprägend für ihre Arbeit ist der kulturhistorische Hintergrund ihrer Heimatprovinz Saragossa, der stark von arabischen Einflüssen geprägt ist.

Sowohl die Ornamentik als auch die abstrakten, kargen Landschaftserinnerungen ihrer Heimat beeinflussen ihre Bildfindung. Das Wort Bildfindung kann durchaus für den Arbeitsprozess von Carmen Lorente Santos als Prämisse verwendet werden. Und auch die Titel, die sie verwendet:

Pasarela, Susuro, Entremedio, Caprichos, Entrecortado, Entrelazado, Parajes, Paisaje, Pasarela, Ventana, Muda.

Es sind sprechende Titel und sie drücken nur schon durch ihre Phonetik Lebensfreude und Kraft aus.  Picasso war Spanier, Tapies war Spanier. Was mich in deren Werken anspricht ist das solide handwerkliche Können. Wohl durch den akademischen Hintergrund, Ausbildung und auch das Qualitätsbewusstsein für den Umgang mit verschiedenen Materialen geleitet, durchbrechen jedoch beide Künstler spielerisch traditionelle Ästhetik und Wahrnehmung. Tapies z.B. fügt Texturen aus Sand und Marmorstaub in seine Gemälde ein; kreiiert schroffe, erdige Oberflächen, und macht dadurch das Material selber zum Ausdrucksträger.

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So auch Carmen Lorente Sangros. Obwohl der abstrakten Malerei weitgehenden verpflichtet, bewegt sie sich bei Ihrer Bildfindung spielerisch frei, sie verfolgt keinen kompositorischen Plan, sondern lässt das Bild wachsen, gefühlsmässig entstehen, Sie verwendet dabei verschiedene Techniken, arbeitet mit Schablonen und abgeklebten Formen, schichtet Farbe über Farbe und setzt Kontraste. Nähert sich das Bild einem Muster an, oder einer Landschaftsdarstellung, lässt sie dies gelten und akzeptiert den durchbrochenen Plan. Beispiele dazu, es sind etwas ältere Arbeiten, sehen sie hier an der Stirnwand. Die kleineren Bildformate gehören zur Bildgruppe mit dem Titel Capricio: in etwa meint dies Lust auf etwas haben oder auch mit Lust arbeiten.  Und Leben.

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Carmen Lorente Sangros hat Spanien früh verlassen. Zuerst Lyon, dann Sion wo sie Malerei studiert hat, einer kurzen Rückkehr nach Barcelona, mit dem Besuch der Akademie für Bildhauerei, lebt sie seit 1993 in, Luzern wo sie mit  dem Architekten Thomas Lussi eine Familie gegründet hat.

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Die Berührungspunkte von Malerei, Bildhauerei und Architektur sind  offenkundig. Gerne spricht die Künstlerin vom „camino parallelos“, der ihr Werk prägt. Neben der schon erwähnten plastischen Arbeit in der Frontvitrine, weiter Modelle sehen sie im vordersten  Schaufenster und hier auf dem Tisch als Gruppe platziert und den älteren Malereien an der Stirnwand zeigt Carmen Lorente Sangros neue Frottagen mit dem Titel Mudas: Häutungen.

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Eigentlich sind dies Abbildungen ihres Arbeitstisches. Die Farbspuren werden vom Tisch auf alltägliches Material wie Pack- oder Seidenpapier mehrschichtig übertragen und mit Hautleim verstärkt. Die Strukturen entstehen durch den Arbeitsprozess und sind im Gegenlicht besonders prägnant zu sehen.  Die Arbeiten sprechen durch Ihre Fragilität, sind z.T. eingerissen oder sogar durchlöchert. Transparenz und Glanzeffekte malen ein sensibles Lichtspiel, und die Materialtät an sich wird wie bei Tapies zum Bildinhalt. Ich interpretiere dies Bildobjekte aber auch als mögliche Schnitte durch Gesteine wie Marmor oder Alabaster und somit, um auf die Architektur zurückzukommen, als Fassadenelemente.

 

Besten Dank.

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Henri Spaeti, Künstler und Galerist

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